Bunkerklang


Konzert und Lesung zur Wiedereröffnung der Ausstellung
„Ostend – Blick in ein jüdisches Viertel“

28. April 2013, 11:00 Uhr
am Ort der ehemaligen Synagoge der Israelischen Religionsgemeinschaft im Hochbunker an der Friedberger Anlage 5 – 6, 60314 Frankfurt am Main

eine Veranstaltung der „Initiative 9. November e. V.“

Wir bringen Ihnen eine Lesung und eine klanglich-musikalische Darbietung zu Gehör. Die Texte der mit diesem Ort verbundenen Erzählungen jüdischer und nicht-jüdischer Frankfurter scheinen uns als Einstimmung in den 75. Jahrestag der Vernichtung auch jener jüdischen Gemeinde, die auf diesem Boden den Mittelpunkt ihres Glaubens hatte, aller Erinnerung wert. Wie sich die einstigen Ereignisse im je eigenen Licht persönlichen Erlebens zeigen, fügt dem Bekannten doch immer einen neuen Akzent hinzu, zeigt es als Unabschließbares, das gerade als Erzähltes doch lebendig und derart gegenwärtig bleibt.           
Das
One Earth Orchestra haben wir nicht nur wegen seiner Klezmer-Anspielungen eingeladen, sondern weil sein musikalisches Verständnis vom Gedanken vielstimmigen kulturellen Lebens und dessen Reichtum getragen ist und gerade so auch als Einspruch gegen alles stumpf und letztlich zerstörerisch Monolithische gehört werden kann, wie dies nicht zuletzt durch den Bunkerbau hier repräsentiert wird.

Prof. Dr. Hans-Peter Niebuhr
Vorsitzender der Initiative 9. November e. V.

Programm

Volker Staub (1961): OEO #1 und #2 (2012)
für Flöte, Klarinette, Violoncello, Akkordeon, Perkussion

Alfred Oppenheimer: Die Einweihung der Synagoge
Alfred Rosenthal: Ich hab mich bei jedem Menschen, dem ich begegnet bin,      gefragt: Wo warst du, was hast du gemacht?
Cilly Peiser: Die Synagoge ist ja später ein Bunker geworden.

Georgina Derbez Roque (1968): Symphonia (2006)
für Akkordeon solo

Walter Rost: Unser Blumengeschäft ging gut durch die Judenkundschaft.
Rose Teichert: Sprechen Sie nicht mit mir – wenn das jemand sieht!
Yehuda Ariel: Es ist kein Gesindel gewesen, das die Synagoge abgebrannt hat.

Volker Staub: Weiche Gesänge Nr. 26 Teil III (1994-97)
für Stahlsaite solo
Volker Staub: OEO #3 (2012)
für Flöte, Klarinette, Violoncello, Akkordeon, Perkussion
Volker Staub: Weiche Gesänge Nr. 26 Teil I (1994-97)
für Stahlsaite solo

Christine Hermann: Kinder, steht alle auf, die zünden die Synagoge an!
Benjamin HirschDie Zerstörung der Synagoge
Inge HessIch habe mich so sehr geschämt, dass ich Deutsche bin.

Ruben Staub (1992): Klezmer Medley (2012-13)
für Klarinette solo

Emil MaiLeben im Abseits
Edith ErbrichWir mussten als Kinder schon erwachsen sein

Volker Staub: OEO # 4, zu einer Melodie aus Parambikulam,OEO # 5
für Flöte, Klarinette, Violoncello, Akkordeon, Perkussion

Musik: One Earth Orchestra
mit Lea Polanski: Flöte, Ruben Staub: Klarinette, Larissa Nagel: Violoncello
Eva Zöllner: Akkordeon, Stefan Kohmann: Perkussion
Volker Staub: Stahlsaite und künstlerische Leitung

Lesung: Petra Fehrmann, Günther Henne

Alle Texte aus: Initiative 9. November „Erinnerung braucht Zukunft – Der Ort der zerstörten Synagoge an der Friedberger Anlage in Frankfurt am Main“, Verlag Brandes & Apsel, Frankfurt 2010.

Biografien

Petra Fehrmann
ist Schauspielerin, Sprecherin, Moderatorin. Viele Jahre spielte sie am Stadttheater Heidelberg und in freien Theaterproduktionen. Sie ist immer wieder in Fernsehfilmen zu sehen. Seit 2000 arbeitet sie als Sprecherin und Moderatorin beim Hessischen Rundfunk.

Günther Henne
ist Schauspieler. Nach einer Schauspiel- und Gesangsausbildung war er Gast bei verschiedenen Produktionen im unterhaus Mainz, am Fritz Rémond Theater Frankfurt, am Schnawwl Mannheim, beim Münchner Tournee Theater, in der Oper Frankfurt und beim Hessischen Rundfunk. Parallel dazu war er an fast allen Theaterhaus-Produktionen und 2000 auch an der Gründung des Theaterhaus- Ensembles beteiligt.

Volker Staub
studierte Klavier und Komposition. Er komponierte 107 Werke in nahezu allen Gattungen und entwickelte interdisziplinäre Performances. Seit 1981 erfindet und baut er experimentelle Musikinstrumente und Klanginstallationen, die er in eigenen Werken, oftmals in Verbindung mit traditionellen Instrumenten und Gesang, verwendet. Seine Arbeiten wurden mit insgesamt 13 nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet.

Alfred Oppenheimer
geb. 1914, weitere Angaben liegen leider nicht vor.

Alfred Rosenthal
wurde 1913 in Hamburg geboren. 1933 wanderte er nach Palästina aus, arbeitete sich dort in der Siemens-Vertretung in Tel Aviv vom Laufburschen in die Geschäftsleitung hoch. Nach Deutschland zurückgekehrt, engagierte er sich in der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, im Leo Baeck Institut und in der Franz-Oppenheimer-Gesellschaft. 1996 wurde ihm für seine Verständigungs- und Versöhnungsarbeit das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Cilly Peiser
wurde 1925 als Cilly Levitus in Frankfurt a. M. geboren. Nach dem Tod des Vaters fand die Mutter eine Anstellung und Unterkunft im jüdischen Waisenhaus am Röderbergweg. Nach dem Novemberpogrom konnte Cilly Peiser mit ihrer jüngeren Schwester und anderen Kindern in die Niederlande entkommen und überlebte dort, von christlichen Niederländern versteckt, die deutsche Besetzung und den Krieg. Nach dem Krieg kam sie 1946 als blinder Passagier auf einem Schiff nach Palästina.

Walter Rost
1925 in Frankfurt geboren, im Sandweg 6 aufgewachsen. Seine Familie hatte dort von 1922 bis 1993 ein großes Blumengeschäft.

Rose Teichert
Jahrgang 1923, wuchs mit sieben Geschwistern im Ostend auf. Ihre Familie besaß vor der NS-Zeit einige Häuser in der Nähe des Zoos, Großvater und Vater führten einen Betrieb mit etwa zehn Angestellten. Sie besuchte eine Realschule im Ostend und machte später eine Ausbildung als Krankenschwester.

Yehuda Ariel
geborener Oppenheimer, ist vermutlich gegen Ende des Ersten Weltkriegs in Frankfurt geboren worden. Mit seiner Familie, die der Israelitischen Religionsgesellschaft angehörte, konnte er nach Palästina emigrieren.

Christine Herrmann
geborene Hau, erlebte als 15-Jährige die Zerstörung der Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft 1938; sie lebte als jüngste Tochter Justin Haus, des Kastellans der Synagoge, mit ihren Eltern und ihren drei Geschwistern in diesem Gebäude.

Benjamin Hirsch
1932 in Frankfurt/M als fünftes von sieben Kindern des Zahnarztes Dr. Hermann Hirsch und seiner Frau Mathilde geboren, lebt heute als Architekt in Atlanta, Georgia, USA. Dort errichtete er u.a. das Holocaust Memorial der Stadt. Seine Eltern und seine jüngeren Geschwister wurden aus Frankfurt deportiert und ermordet

Inge Hess
Buchhändlerin, 1931 geboren, lebte bis 1958 im Sandweg 29. Der Vater, Gewerkschafter und der SPD nahe, war bis etwa 1938 arbeitslos, danach war er Schriftgießer in der Bauerschen Gießerei. Die Mutter war Chemiefacharbeiterin in einem Fechenheimer Chemiebetrieb.

Emil Mai
1928 in Frankfurt am Main geboren. Sein jüdischer Vater stammte aus einem Teil Galiziens, der zu Österreich-Ungarn gehörte und nach dem Ersten Weltkrieg an Polen fiel. Emil Mais Familie war von der so genannten Polen- Aktion vom Herbst 1938 betroffen, bei der sein Vater und seine Schwester nach Polen deportiert wurden. Er selbst wurde später in das Ghetto Theresienstadt gebracht, konnte jedoch überleben.

Edith Erbrich
1937 geboren, war im Nazijargon ein „Mischling ersten Grades“. Sie verbrachte die ersten sieben Jahre im Ostend, bis sie im Februar 1945 zusammen mit ihrer vier Jahre älteren Schwester und ihrem Vater nach Theresienstadt deportiert wurde. Erst nach ihrer Rückkehr im Sommer 1945 konnte sie eine Schule besuchen.

© der Abbildungen: Foto 1, 5: Jüdisches Museum Frankfurt; Foto 2, 3, 4: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt; Foto 8, 9: Initiative 9. November